Senioren und Fernsehen – Studien und Tipps

Senioren und Fernsehen

Senioren und Fernsehen Summary slide of study

Senioren und Fernsehen

Die Auswirkungen von Fernsehen auf die psychische und körperliche Entwicklung beschäftigt Wissenschaftler seit vielen Jahren. Durch die starke Zunahme der Zahl älterer Menschen in den Industrieländern sind seit einiger Zeit auch Senioren in den Fokus der Wissenschaft gerückt. Senioren und Fernsehen ist zu einem Trendthema geworden.

Hoher Fernsehkonsum kann dem verbalen Gedächtnis schaden

Dies belegt eindrucksvoll eine kürzlich veröffentlichte Studie, in der Daten einer englischen Langzeitstudie (The English Longitudinal Study of Aging) ausgewertet wurden. Studienteilnehmer (Durchschnittsalter 67 Jahre), die täglich mehr als dreieinhalb Stunden vor dem Fernseher verbrachten, hatten nach sechs Jahren ein signifikant schlechteres verbales Gedächtnis als Menschen mit einem geringen Fernsehkonsum. Je länger die tägliche Zeit vor dem Fernseher, desto schlechter wurde das Sprachgedächtnis. 2006 war eine chinesische Studie zu ähnlichen, aber nicht so detallierten Ergebnissen zum Thema Senioren und Fernsehen gelangt.

D. Fancourt and A. Steptoe. Television viewing and cognitive decline in older age: findings from the English Longitudinal Study of Ageing. Scientific Reports. Published online February 28, 2019. doi:10.1038/s41598-019-39354-4. 
 J.Y.J. Wang, D. H.D. Zhou, J. Li, M. Zhang, J. Deng, M. Tang, C. Gao, J. Li, Y. Lian, M. Chen Leisure activity and risk of cognitive impairment: The Chongqing aging study, Neurology Mar 2006, 66 (6) 911-913; DOI: 10.1212/01.wnl.0000192165.99963.2a             

Welche Auswirkungen im Alltag kann dies haben?

Unser verbales Gedächtnis ist wichtig für viele Alltagsaktivitäten und die Interaktion mit anderen Menschen. Das Sprachgedächtnis hilft uns zum Beispiel, Ansagen auf Flughäfen oder Bahnhöfen richtig zu verarbeiten und auch für ein paar Minuten zu behalten. Ein verringertes Sprachgedächtnis kann Menschen deshalb in vielen Situationen unselbständig bis hilflos machen. Auch für Gespräche mit anderen Menschen braucht man das sprachliche Gedächtnis. Menschen mit reduziertem Sprachgedächtnis verlieren beim Sprechen eher den Faden oder können den Erzählungen anderer nicht mehr richtig folgen.

Warum beeinträchtigt Fernsehen die Kapazität des Sprachgedächtnisses?

Diese Frage lässt sich mit den Daten der englischen Studie nicht beantworten. Die Autoren geben jedoch eine Reihe von möglichen Erklärungsansätzen, die sich in konkrete Tipps für den Alltag von Erwachsenen umsetzen lassen. Hier zunächst die Erklärungen.

Fernsehen ist eine passive Beschäftigung und fordert das Gehirn nicht. Die Folge könnte ein Abbau von Gehirnkapazitäten sein.

Fernsehen ist Stress für das Gehirn. Auch wenn viele Menschen beim Fernsehen Entspannung suchen, unser Gehirn sieht dies anders: Häufige Gewaltszenen und Nachrichtensendungen mit negativen Informationen sind harte Arbeit für unser Gehirn. Wer täglich viele Stunden fernsieht, setzt sein Gehirn – auch wenn es einem nicht so vorkommen mag – unter Dauerstress. Und das Gehirn reagiert darauf mit einer Schrumpfung des Hippocampus, das ist eine Gehirnregion, die dafür zuständig ist, Informationen aus dem Kurzzeitspeicher in das Langzeitgedächtnis zu übertragen. Konsequenz: kleinerer Hippocampus, schlechteres Gedächtnis.

Der Hippocampus (rot) ist zuständig für das Speichern von Informationen. Hoher Fernsehkonsum lässt ihn möglicherweise schrumpfen.
Credit: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hippocampus.gif

Fernsehen findet häufig auf der Couch statt. Der Fernseher bringt nicht nur das Gehirn in einen Passiv-Modus, sondern auch den ganzen Körper. Und bei dieser Erklärung kommt wieder der Hippocampus ins Spiel. Inzwischen ist es gut belegt, dass körperliche Bewegung die Entstehung neuer Nervenzellen fördert und zwar vor allem im Hippocampus. Ob umgekehrt eine sitzende Lebensweise den Hippocampus zum Schrumpfen bringen kann, lässt sich nicht so eindeutig beantworten. Eine aktuelle Studie legt nahe, dass es darauf ankommt, welche Tätigkeiten man während des Sitzens ausübt. Fernsehen zählt zu den Tätigkeiten, die aufgrund der vorliegenden Daten ungünstig sind.

Paul Loprinzi (2019) The effects of sedentary behavior on memory and markers of memory function: a systematic review, The Physician and Sportsmedicine,                                                                          DOI: 10.1080/00913847.2019.1607603                                  

Fernsehen ist ein Zeiträuber. Wer viel fernsieht, verbringt weniger Zeit mit Aktivitäten, die für das Gehirn produktiver wären. Beispiele dafür sind: Lesen, Gesellschaftsspiele, Theater, Konzerte und Internet. Ja, Sie haben richtig gelesen, Internet! Dies ist das Ergebnis einer weiteren Untersuchung auf der Basis der „English Longitudinal Study of Ageing“. Die Daten zeigen, dass regelmässige Internetnutzer ein geringeres Risiko hatten, an Demenz zu erkranken.

Eleonora d'Orsi, Andre Junqueira Xavier, Snorri Bjorn Rafnsson, Andrew Steptoe, Eef Hogervorst & Martin Orrell (2018) Is use of  the internet in midlife associated with lower dementia incidence?  Results from the English Longitudinal Study of Ageing, Aging & Mental Health,                                                                                                                                                        22:11, 1525-1533, DOI: 10.1080/13607863.2017.1360840

So können Erwachsene den gefährlichen Effekten des Fernsehens ein Schnippchen schlagen

  1. Reduzieren Sie Ihre Fernsehzeit auf max. zwei Stunden pro Tag.
  2. Sie lieben Bildschirme? Dann surfen Sie statt Fernsehen im Internet oder machen Videospiele.
  3. Überlegen Sie, welche anderen Tages- oder Freizeitaktivitäten Sie tun könnten. Wie wäre es mit Lesen oder Hörbüchern?
  4. Wenn Sie länger als zwei Stunden vor dem Fernseher verbringen möchten, achten Sie auf „Ausgleichssport“, bei dem Sie sich bewegen. Treppen steigen tut es für den Anfang.
  5. Wenn die Punkte 1 – 4 für Sie nicht in Frage kommen, könnten Sie wenigstens den durch Fernsehen erzeugten Stress für Ihr Gehirn reduzieren: Vermeiden Sie Aufregung und Ärger durch das, was Sie im Fernsehen sehen. Schauen Sie nur solche Sendungen, die Ihnen wirklich gut tun.

Fernsehen und Internet: Das können Erwachsene von Jugendlichen lernen

Erwachsene machen sich manchmal über Jugendliche lustig wegen angeblicher Handysucht. Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchungen über die Mediennutzung von Erwachsenen könnte man auch so interpretieren, dass junge Leute die Medien möglicherweise mit weniger Risiken nutzen als Erwachsene. Bitte die Liste als provokativen Gedankenanstoss verstehen!

  1. Die tägliche Fernsehdauer von jungen Menschen (14 – 29 Jahre) ist seit 2010 rückläufig. 2018 lag sie bei 94 Minuten (im Vergleich zu 333 Minuten der über 60jährigen. Klarer Zeitvorteil für die Jugend, selbst wenn man noch 45 Minuten für Streamingdienste wie Netflix oder Amazon Prime Video hinzurechnet.
  2. Junge Leute nutzen das Internet sehr intensiv: fast sechs Stunden am Tag. Das ist besser für das Gehirn als Fernsehen.
  3. Fast die Hälfte ihrer Internetzeit – also zwei bis drei Stunden pro Tag – sind junge Menschen in den sozialen Medien aktiv, sie kommunizieren mit anderen. Unter medizinischen Aspekten ist sozialer Austausch positiver zu bewerten als passives Fernsehen. Noch besser wären natürlich persönliche Kontakte, aber Hauptsache Kommunikation.
  4. Jugendliche schauen ständig auf ihre Handys. Auch beim Gehen. Wir sollten auch die Vorteile sehen: Sie bewegen sich beim Medienkonsum statt auf der Couch zu sitzen.
  5. Wenn junge Leute fernsehen, nutzen sie häufig parallel noch ein Handy oder Tablet.
    Psychologisch betrachtet, ist dies eine Anreicherung des passiven Mediums Fernsehen mit aktivierenden Tätigkeiten.
Die Fernsehnutzung der 14 bis 29jährigen ist seit 2010 rückläufig. Grafik: Media Perspektiven 3/2017
 Camille Zubayr und Heinz Gerhard, Tendenzen im Zuschauerverhalten - Fernsehgewohnheiten und Fernsehreichweiten im Jahr 2016, Media Perspektiven 3/2017 


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Autor des Beitrags

Der Beitrag „Senioren und Fernsehen“ stammt vom Dr. Gundolf Meyer-Hentschel. Er hat 1994 den Alterserforschungsanzug erfunden. Sein Institut bietet Empathie-Fortbildungen für Pflegefachpersonen an.

Erfinder Alterssimulationsanzug 1994
Dr. Gundolf Meyer-Hentschel hat 1994 den Alterssimulationsanzug erfunden und damit weltweit eine neue Produktkategorie geschaffen.