Vom 2. bis 4. Juli 2015 fand in Frankfurt der 11. Deutsche Seniorentag statt. Der alle drei Jahre stattfindende Seniorentag ist für Industrie und Handel sehr wichtig, weil sich hier die einzige wachsende Kundengruppe versammelt. Ich bin für Sie in Frankfurt gewesen und fasse das Wichtigste für die Wirtschaft kurz zusammen.
Highlight beim Seniorentag
Beginn und Höhepunkt beim Seniorentag war zweifellos die Eröffnungsrede von Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Die Eröffnungsansprache der Bundeskanzlerin hatte durchaus politisches Potential. Der interessanteste Satz, der mir kurz den Atem stocken ließ: Merkel forderte die rund 2.000 Zuhörer auf, Ihre Einkäufe stärker online zu tätigen. Dies war kein Ausrutscher, sondern lässt sich wörtlich im Redemanuskript nachlesen: „… wer sich bei Zeiten digitale Fähigkeiten erwirbt, hat es im Alter einfacher. Man kann heute schon so vieles machen, zum Beispiel Einkäufe bestellen. Man muss nicht immer zur Apotheke gehen oder selber einkaufen.“
Zum wirtschaftlich wichtigen Thema ältere Arbeitnehmer äusserte die Kanzlerin: „Wir haben in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Zeiten gehabt, in denen in unverantwortlicher Weise das beiseitegelegt wurde, was so wichtig ist, nämlich die Erfahrung der Älteren. Man hat nur in Schnelligkeit gedacht, hat gesagt, dass die Jüngeren schneller sind, hat aber vergessen, dass die Älteren die Abkürzungen kennen …“
Ein dritter Punkt: Die Vorsitzende des Veranstalters BAGSO, Prof. Ursula Lehr, hatte in Ihrer vorangehenden Begrüssung ausdrücklich und namentlich den Sponsoren Pfizer und ING DiBA gedankt. Die Kanzlerin ging auch darauf ein und relativierte die Dankbarkeit des Veranstalters ein wenig: „… man hat den Sponsoren gedankt; das finde ich auch in Ordnung –, aber die Älteren sind ja auch ein Marktfaktor.“ Damit hat sie zweifellos recht, denn hier handelt sich um ein Investment in eine immer wichtiger und einflussreicher werdende Kundengruppe.
Anspruchsvolle Verbraucher beim Seniorentag
Wie anspruchsvoll ältere Kunden sind, konnte man hautnah auf der begleitenden Messe SenNova am Stand eines Ausstellers erleben. Dort wurden stolz Produkte präsentiert, die einen Award für besondere Kundenfreundlichkeit bekommen hatten. Das war einigen der älteren Besucher offensichtlich völlig egal. Sie gingen ganz pragmatisch und kritisch an die Produkte heran, bewerteten gezielt aus Sicht der Gebraucher und stellten die prämierte Usability in Frage. Selbst der Aussteller musste erkennen, wie wenig seine prämierten Produkte im täglichen Leben überzeugen können.
Dieses Beispiel macht sehr deutlich, mit wie wenig Gebraucher-Kenntnis und noch weniger Empathie viele Unternehmen nach wie vor Produkte entwickeln. Das Gefährliche: Wenn solche Produkte dann keinen Erfolg haben, heisst dies, die Zielgruppe sei schwierig …. Keine gute Ausrede, wenn die Zielgruppe nachweislich Recht hat und auch noch über das Geld verfügt, das viele Unternehmen gerne als Umsätze verbuchen möchten.
4 Learnings vom Seniorentag 2015
1. 13 Millionen Boomer-Kunden – organisiert in den BAGSO-Verbänden – sind auf der Suche nach ehrlichen Produkten und Dienstleistungen, die ihr Geld wert sind.
2. Bundeskanzlerin Angela Merkel fordert ältere Kunden auf, sich verstärkt online zu versorgen: „Man muss nicht immer zur Apotheke gehen …“
3. Sponsoren im Seniorenbereich sieht Angela Merkel nicht mehr als freundliche Spender, denen man dankbar sein muss, sondern eher als Investoren, denen die ältere Community einen massiven Nutzen bieten kann.
4. Auf der Messe SenNova wurde deutlich, dass viele Produkte noch weit davon entfernt sind, anspruchsvolle ältere Kunden überzeugen zu können.
3 To Do’s für Industrie und Handel
1. Ältere Kunden als die zentrale Kundengruppe der nächsten 30 Jahre definieren.
2. Der stationäre Handel aller Branchen muss sich schnell und konsequent auf Boomer-Kunden einstellen, um diese wertvolle Kundengruppe nicht an den eCommerce zu verlieren: Ladenbau, Warenpräsentation, Services, Sortimente, adäquate Beratung.
3. Hersteller müssen bei Relauches und Neuentwicklungen von Produkten und Verpackungen viel stärker die Ansprüche und Bedürfnisse der Babyboomer adressieren. Was nicht auf das „Konto Babyboomer“ einzahlt, hat zukünftig nur noch begrenzte Chancen am Markt.
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Daten und Fakten zum Seniorentag 2015
Dauer: 3 Tage
Besucherzahl: fast 15.000
Vorträge, Workshops: über 100.
Viele Säle platzten aus den Nähten. Das komplette Programm zum Download.
Messe SenNova: über 250 Aussteller.
Schwerpunktbranchen: Pharma, Tourismus, Finanzdienstleister, Kliniken, Seniorenresidenzen, Selbsthilfegruppen, Verbände und Interessenvertretungen Älterer. Hier die Ausstellerliste.
Sponsoren: Pfizer, ING DiBA
Veranstalter: BAGSO, Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen. Die BAGSO ist das Dach von 111 Verbänden mit rund 13 Millionen älteren Menschen.